Die romantische Liebe ist am Ende

Unser Bild der Liebe könnte veraltet sein. Doch Zynismus verbietet sich. Brauchen wir einfach nur eine bessere Vorstellung davon, wie wir unsere Zeit miteinander verbringen?
Text: Houssam Hamade


Mitunter kann man mit mathematischen Formeln die Wirklichkeit sehr genau abbilden. In diesem Fall möchte ich mit der Formel L > RL aufzeigen, warum L, die Liebe, größer ist als RL. Die romantische Liebe. Im Grunde ist sie eine Religion. Und im Folgenden erkläre ich warum.

Das Lieblingsbild der romantischen Liebe ist der händchenhaltende Gang in den Sonnenuntergang. Romantische Filme hören genau an diesem Punkt auf. Aus gutem Grund. Zwar hört das Leben hört diesem Punkt alles andere als auf, doch die romantische Liebe möchte hier ein Ende setzen, denn sie hasst Ambivalenzen und steht deshalb auf Kriegsfuß mit der Wirklichkeit. Im Grunde ist sie eine Religion und besitzt so ziemlich alle Eigenschaften einer Religion. Ich war selbst lange überzeugter Jünger der Religion der romantischen Liebe: Auch wenn ich sonst nicht an Vorsehung oder irgendwelche himmlischen Wesen geglaubt habe, begann ich doch immer, wenn ich verliebt war, an Engel zu glauben, die die Fäden des Schicksals so gewoben haben, damit genau dieser Mensch nun in mein Leben tritt. Von diesem Moment an machte alles Sinn. Von nun an, werde ich bis ins hohe Alter mit Lust, Liebe und ewiger Leidenschaft überschüttet werden. Genau dieser Mensch und kein anderer wurde in mein Leben gebracht, um mich Ganz zu machen. Sie ist der Topf zu dem ich der Deckel bin. Nach all dem Suchen habe ich sie endlich gefunden.

Nun empfand ich das in meinem recht ereignisreichen Leben um die 15-20 mal. Immer wieder ähnlich und doch ein bisschen anders. Das letzte Mal war es mit einer mäßig bekannten Schauspielerin. Wir waren so verliebt: Plötzlich dachte ich über Kinder nach, und meine Zukunft erschien mir hell und freundlich.  Das ging etwa drei Wochen lang. Dann hatte wir unseren ersten Streit und innerhalb eines halben Mondes waren wir schon wieder auseinander und das Ganze wurde ein blöder Irrtum. Auch wenn einige meiner Beziehungen sich über Jahre erstreckten, war das ungefähr das Muster, nach dem sie alle verliefen. Ich war vollkommen überzeugt, endlich angekommen zu sein. Dieses würde nun halten! Der Sex war toll und wir sahen einander ins Herz. Bis ich dann feststellte, dass ihre Art mit attraktiven Männern zu reden, mich verrückt machte.

Die romantische Liebe braucht die Verletzung.


Sie nervte meine Klugscheißerei. Und wir stellten fest, dass es, trotz der  Seelenverwandtschaft Situationen gab, in denen wir tagelang versuchten uns zu verständigen, dass wir aber nicht die gleiche Sprache zu sprechen schienen. Mit dem Kränkeln der Beziehung begann der nagende Zweifel: Ist sie die Richtige? Wenn unsere Liebe im Himmel beschlossen wurde, warum verstehen wir uns dann nicht? Warum glauben wir dann so schnell, unser Seelenverwandter könnte uns hintergehen oder nicht Ernst nehmen? Klar, der Versöhnungssex und die Nähe nach der entsetzlichen Ferne machte vieles wieder wett. Die Spannung war gelöst, und konnte sich mit der Zeit neu aufbauen, wie Erdplatten, die sich verschieben, und sich in einem brutalen Erdbeben von ihrer Last befreien. Die romantische Liebe braucht die Verletzung: Erst die Heilung alter Verletzungen durch sie, oder durch die Schaffung neuer Verletzungen (ebenfalls durch sie), erleben wir sie so intensiv, wie es sich gehört. Sie braucht die Extreme.

Millionen in Leid - Ein Produkt der Moderne.


Der Psychiater M. S. Peck erzählt von den Millionen Menschen, die vom Mythos der romantischen Liebe in Verwirrung und Leid gestürzt werden. Es sei eine leidbringende Lüge des Mythos der romantischen Liebe, dass für jeden Menschen irgendwo ein idealer Partner warte. Was ich früher nicht wusste war, dass die romantische Liebe ein soziales Konstrukt und ein Produkt der Moderne ist. Ich bin wohl zu sehr von Walt Disney geprägt, wo die immer identischen Rollen in Raum und Zeit wiederholt werden. Ein Donald Duck als mittelalterlicher Bauer, als Burgherr oder als Steinzeitente war immer ein Donald Duck, der in die immer gleiche Daisy Duck verliebt war. Dabei funktioniert das so nicht. Das Sein beeinflusst sehr stark das Bewusstsein. Ein Donald im Mittelalter wäre ein anderer Donald als ein heutiger. So ist es auch mit der Liebe.

Selbst vor lächerlichen 50 Jahren war die Liebe anders als heute. Sogar unser Bild des Ganges in den Sonnenuntergang wurde von der Werbung etabliert, wie die Soziologin Eva Illouz in Der Konsum der Romantik genau aufzeigt.

Sechs Arten der Liebe


Die alten Griechen kannten sechs verschiedene Arten der Liebe und man ahnt es: die romatische gehörte nicht dazu. Da war „Eros“, oder die sexuelle Leidenschaft. Diese Art der Liebe ist der romantischen Liebe am nächsten. Sie ist die feurige Liebe des Kontrollverlusts. Sie wurde deshalb auch nicht unbedingt als etwas positives angesehen. Mit Sicherheit war sie nicht, wie für uns heute, Indikator, dass man mit dem so begehrten Menschen nun den Rest des Lebens verbringen sollte. „Philia“ ist die Liebe der Freundschaft, die den Griechen weit mehr vertraut wurde als dem Eros. Philia entwickelte sich für die alten Griechen beispielsweise unter Waffenbrüdern, die Seite an Seite miteinander gegen einen gemeinsamen Feind gekämpft haben. Sie basiert auf Vertrauen und tiefem Verständnis.

Die Liebe zwischen Eltern und ihren Kindern bezeichneten die Griechen als „Storge“. „Ludus“ ist die spielerische Liebe zwischen Kindern oder auch jungen Liebenden. Du spürt Ludus auch, wenn Du mit deinen Freunden tanzen oder trinken geht. Auch das Tanzen mit Fremden kann Ludus sein. Die vierte Art der Liebe ist „Agape“, die selbstlose Liebe. Diese Art der Liebe, die sich auf alle Menschen ausweitet, ist (hoffentlich) die Basis der Religionen, und auch (hoffentlich) Grundlage allen politischen Handelns. Die Liebe zwischen Paaren, die schon lange zusammen sind, heißt „Pragma“. Sie basiert auf Vertrauen und tiefem Verständnis zweier Menschen. Bei Pragma geht es darum, geduldig und freundlich zueinander zu sein. Die sechste Art der Liebe bei den Griechen ist „Philautia“, also die Selbstliebe.

Dabei wird auch unterschieden zwischen ungesunder, narzisstischer Selbstliebe, bei der man sich nur um sich selbst dreht (und damit automatisch einsam und enttäuscht wird). Dagegen gibt es die gesunde Selbstliebe, die die Kapazität zu lieben erhöht. Diese verschiedenen Arten der Liebe findet man mit verschiedenen Menschen: Freunden, der Familie, Partnern, Fremden und mit sich selbst oder sogar für eine Sache.

Der Anspruch kann nur enttäuscht werden


Die romantische Liebe neigt dagegen dazu, zu sagen: „Nur Du!“. Nur diese eine Person gibt uns alles. Und genau hier liegt das Problem: Ein Mensch kann kein Erlöser sein. Dieser Anspruch kann nur enttäuscht werden. Die romantische Liebe kreist um den Schmerz, von dem man endlich erlöst werden möchte. Wird man befreit durch die romantische Liebe? Die Griechen glaubten nicht an die wilde Art der Liebe.

Schon der Philosoph Erich Fromm stellte fest, dass wir uns zu sehr darauf konzentrieren, uns zu verlieben, aber nicht, die Liebe aufrecht zu erhalten. Und zumindest die Griechen schienen der Meinung zu sein, dass diese wilde Art der Liebe nicht das Zeug hat, zu halten. Damit ich nicht missverstanden werde: Ich finde Eros super! Man sollte jede Art der Liebe zelebrieren, nur der Überbewertung des Romantischen sollten wir ein gehöriges Misstrauen entgegenbringen. Das ist schwierig, und ich habe auch lange gebraucht, bis ich das wirklich gelernt habe.

Man muss jemanden schon toll und sexy finden, wenn man mit ihr oder ihm für ganz lange zusammen bleiben will. Nur sagt die quasi-religiöse Anfangseuphorie nichts darüber aus, ob jemand passt. Sonst gäbe es nicht so viele gebrochene Beziehungen und Ehen, bei denen man immer dachte: Das ist es! Eine neuere Studie zeigt, dass Ehen dann halten, wenn in Ihnen eine Kultur der Güte und der Großzügigkeit zelebriert wird. Um gütig und großzügig zu sein, muss man auch Abstand einnehmen können. Die romantische Liebe will aber die Verschmelzung. Man muss gelassen sein und loslassen können. Aber wie könnte man gegenüber einem Messias gelassen sein?

Selbstverständlich gibt es Leute, die es trotz der romantischen Liebe geschafft haben, aber das ging nur, indem sich ihre Liebe gewandelt und ihr eigenes Ideal einer ewig brennenden  Leidenschaft füreinander verraten hat. Roman Krznaric empfiehlt in seinem Buch „How should we live –Great Ideas from the Past for Everyday Life“, die verschiedenen Arten der Liebe in das eigene Leben einzulassen und sie zu pflegen. „Suche nicht nur nach dem Eros, sondern kultiviere Philia, indem Du mehr Zeit mit alten Freunden verbringst, oder entwickle Ludus, indem Du Tanzen gehst.“ Vertraue nicht den Geschichten von Sonnenuntergängen und Happy End. Happy End ist ein glücklicher Tod. Aber Liebe ist größer als das.

Der Autor: Houssam Hamade schreibt für verschiedene Zeitungen über Rassismus und Liebe, über kluge und weniger kluge Kapitalismuskritik. Und außerdem gerade eine sozialwissenschaftliche Masterarbeit an der Humboldt Universität.

Textquelle: www.transform-magazin.de