Kōan - Verstehen bei gleichzeitigem Nicht-Verstehen

Kōan sind rätselhaft. Es ist kaum möglich, sie auf Anhieb zu verstehen. Darum soll man, wenn man einen hört, der als Frage formuliert ist, sofort antworten - ohne Nachdenken, rein impulsiv und intuitiv. Eine Antwort, die nicht augenblicklich und spontan und ohne jede Überlegung erfolgt, ist für Zen nicht akzeptabel. Denn genau darum geht es. Alle Kōan, ob kurz oder lang, sind letztlich Zen-Geschichten. Sie drücken eine Zen-Situation oder ein Zen-Problem aus. Zen, das uns hilft, das Leben in seiner Dualität, in seiner Rätselhaftigkeit zu erkennen - und vielleicht auch zu verstehen - ist aber alleine mit dem Verstand nicht zu begreifen.

Die Koans zeigen uns die Grenzen unseres weltlichen Verstandes auf. In ihrer Weisheit und Poesie geleiten sie uns zu den entscheidenden, letzten Fragen. Die erste Reaktion soll darum frei vom Verstand stattfinden. Im langen, ruhigen Nachdenken, Nachspüren, Meditieren und Sinieren über die tiefsinnigen, rätselhaften Kōan der Meister entdeckt man dann vielleicht durch sie den Schlüssel zu uns selbst, der gleichsam die Antwort und Erklärung des Kōan ist. Widersprüchlich? Rätselhaft? Genau darin liegt die Wahrheit verborgen.

Die bekanntesten, ursprünglich chinesischen, Kōan-Sammlungen sind das Die Niederschrift von der smaragdenen Felswand, Das Buch des Gleichmuts und Die torlose Schranke aus den Jahren. 1181–1260. Die Bücher sind Sammlungen verschiedener Autoren. 

Einige Beispiele

Ein Mönch fragte Tozan: 'Was ist Buddha?' Tozan antwortete: Masagin - Drei Pfund Flachs.

Ein Unkraut ist eine Kostbarkeit, eine Kostbarkeit Unkraut

Ein Mann fragte Tao-hsin "Ist Geld und Besitz erstrebenswert?"Tao-hsin antwortete "Einigen gehört die ganze Welt, anderen nur ein Teil davon."

Ein junger Mann suchte einen Zen-Meister auf. 'Meister, wie lange wird es dauern, bis ich Befreiung erlangt habe ?' 'Vielleicht zehn Jahre', entgegnete der Meister. 'Und wenn ich mich besonders anstrenge, wie lange dauert es dann ?', fragte der Schüler. 'In dem Fall kann es zwanzig Jahre dauern', erwiderte der Meister. 'Ich nehme aber wirklich jede Härte auf mich. Ich will so schnell wie möglich ans Ziel gelangen', beteuerte der junge Mann. 'Dann', erwiderte der Meister, 'kann es bis zu vierzig Jahre dauern.'

Mit schiefgetretenen Schuhen, wenn man Berge und Flüsse durchschritten hat und endlich angekommen ist, kann man verstehen, daß unsere Augen uns irregeführt haben. (Taisen Deshimaru)

Japan in der ersten Hälte des 14. Jahrhunderts. Ein in den Bergen verstecktes Kloster. Vier Zen-Mönche haben beschlossen, ein Sesshin in absoluter Stille abzuhalten. Sie haben ihre Zazen-Haltung eingenommen. Es ist Nacht, und es herrscht eine beissende Kälte. „Die Kerze ist ausgegangen!“ ruft der jüngste Mönch. „Du darfst nicht sprechen! Wir sind im Sesshin, und da herrscht absolutes Schweigen“, fährt ihn ein älterer Mönch an. „Und Du? Warum sprichst du, statt zu schweigen, wie wir vereinbart haben?“ bemerkte der dritte Mönch spitz. „Ich bin der einzige , der nicht gesprochen hat!“ sagte zufrieden der vierte Mönch

Ein Schüler fragte seinen Meister, wie er meditieren solle. Schließlich antwortete der Meister: "Es ist so: Wennn ein vergangener Gedanke aufgehört hat und ein zukünftiger Gedanke noch nicht entstanden ist, gibt es da nicht eine Lücke?" - "Ja", sagte der Schüler. - "Nun gut, verlängere sie! Das ist Meditation."

Der furchtlose Held ist ein liebendes Kind.

Ein Zen-Schüler geht zu einem Zen-Meister, um endlich das Geheimnis des Zen zu erfahren. Er trägt dem Meister, der ruhig in der Zazenhaltung auf dem Boden sitzt, sein Anliegen vor und bittet diesen um Unterweisung. Der Meister hört ihm zu und weist ihn an, sich ebenfalls in der Zazenhaltung neben ihn zu setzen. Nachdem der Schüler einige Minuten ruhig sitzend neben dem Meister wartet, fängt er an unruhig zu werden. Schließlich schaut er den Meister fragend an, worauf dieser sich zu ihm umdreht und sagt: “Nichts wird mehr passieren. Das ist alles.”

Ein Zen-Scherz: Wieviele Zen-Mönche braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? Zwei. Einen zum Wechseln und einen zum Nicht-Wechseln.

Jeder wandernde Mönch kann in einem Zen-Tempel verweilen, wenn er mit denen, die im Tempel leben, eine Diskussion über den Buddhismus führt und gewinnt. Wird er besiegt, so muß er weiterziehen. In einem Tempel im nördlichen Teil Japans lebten 2 Mönche miteinander. Der ältere war gelehrt, der jüngere dagegen war dumm und er hatte nur ein Auge.
Ein wandernder Mönch kam des Weges und bat um Unterkunft, indem er mit Anstand zu einer Debatte über die tiefe Lehre herausforderte. Der ältere Bruder, der müde war vom vielen studieren, überließ dem jüngeren seinen Platz.
"Geh' und bitte darum, daß das Gespräch schweigend geführt wird", riet er ihm vorsichtig!
Also begaben sich der junge Mönch und der Fremdling zum Schrein und setzten sich nieder.
Kurz darauf erhob sich der Reisende, ging zum älteren Bruder und sagte: "Dein jüngerer Bruder ist ein prächtiger Bursche. Er besiegte mich."
"Berichte mir den Dialog", sagte der ältere Bruder.
"Nun", erklärte der Reisende," zuerst hielt ich einen Finger hoch, der Buddha, den Erleuchteten, repräsentierte. Daraufhin hielt er zwei Finger hoch, was auf Buddha und seine Lehre deutete. Ich hielt drei Finger hoch, was soviel hieß wie Buddha, seine Lehre und seine Anhänger, die in Harmonie leben. Daraufhin stieß er mir seine geballte Faust ins Gesicht, womiter darauf hinwies, daß alle drei einer Verwirklichung entspringen. Somit gewann er und ich habe nicht das Recht, hierzubleiben."
Damit verließ der Reisende den Tempel.
"Wo ist dieser Kerl?" fragte der jüngere, wobei er gegen seinen Bruder rannte. "Ich denke, du hast die Debatte gewonnen." "Nicht im mindesten. Ich werde ihn verprügeln!" "Erzähl mir den Inhalt der Debatte", sagte der Ältere. "Nun, kaum sah er mich, da hob er einen Finger und beleidigte mich, indem er darauf anspielte, daß ich nur ein Auge habe. Da er ein Fremder war, wollte ich höflich zu ihm sein und so hielt ich zwei Finger hoch, womit ich ihn beglückwünschte, daß er zwei Augen habe. Daraufhin hielt der unhöfliche Lump drei Finger hoch, um zu verstehen zu geben, daß wir zusammen nur drei Augen hätten. Da wurde ich wütend und wollte ihn verprügeln, aber er rannte hinaus, und damit endete es."
Ein Mönch sagte zu Joshu: "Ich bin gerade erst ins Kloster eingetreten. Bitte unterweise mich". Joshu fragte: "Hast du schon deinen Reisbrei gegessen?" "Ja". "Dann geh' und säubere deine Schale". Der Mönch hatte daraufhin eine Einsicht.

Ein Zen-Schüler der die Erleuchtung suchte beklagte sich bei seinem Meister ständig darüber, daß dessen Erläuterungen unvollständig seinen und der Meister ihm irgendeinen entscheidenden Hinweis vorenthalte. Der Meister versicherte, daß er ihm nichts vorenthalte. Der Schüler bestand darauf, daß es etwas gebe, was der Meister ihm vorenthalte. Der Meister bestand darauf, daß er ihm rein gar nichts vorenthalte. Etwas später gingen die beiden auf einem Pfad durch die Berge spazieren. Plötzlich sagte der Meister(vergl. Zen Buddhismus ): 'Riechst Du den Duft des Berglorbeers?' Der Schüler sagte 'Ja.' 'Siehst Du,' antwortete der Meister, 'ich enthalte Dir gar nichts vor.

Einige Würdenträger der Stadt waren in einem Zen-Kloster zu einem einfachen Mal geladen. Um den Zen-Meister zu beeindrucken, unterhielten sie sich über höchst spirituelle Themen, über Wiedergeburt und Karma. Schließlich ergriff der Bürgermeister das Wort: 'Verehrter Meister, uns würde vor allem Ihre Meinung zum Thema Wiedergeburt interessieren'. Der Meister schaute von seinem Teller auf und sagte: ' Haben Sie schon gekostet ? Der Rettich schmeckt ausgezeichnet.'

Drei heilige Männer gingen zusammen auf Reisen. Der eine war ein indischer Yogi, der zweite ein Sufi-Derwisch, der dritte ein Zen-Mönch. Unterwegs kamen sie zu einem kleinen Fluss. Die Brücke, die ursprünglich darüber führte, war vom Schmelzwasser weggespült worden. «Ich zeige euch, wie man einen Fluss überquert», sagte der Yogi - und ging doch tatsächlich hinüber, und zwar direkt auf der Wasseroberfläche! «Nein, nein, so macht man das nicht», sagte der Derwisch. «Passt gut auf, Freunde.» Er fing an, sich im Kreis zu drehen, schneller und schneller, bis er nur noch ein verwaschener Fleck aus konzentrierter Energie war, und ganz plötzlich - peng! - sprang er ans anderer Ufer. Der Zen-Mönch stand da und schüttelte den Kopf. Dann hob er sein Gewand an und watete vorsichtig durch den Fluss.

Milarepa hatte überall nach Erleuchtung gesucht, aber nirgends eine Antwort gefunden, bis er eines Tages einen alten Mann langsam einen Bergfpad herabsteigen sah, der einen schweren Sack auf der Schulter trug. Milarepa wußte augenblicklich, daß dieser alte Mann das Geheimnis kannte, nach dem er so viele Jahre verzweifelt gesucht hatte. »Alter, sage mir bitte, was du weißt. Was ist Erleuchtung?« Der alte Mann sah ihn lächelnd an, dann ließ er seine schwere Last von der Schulter gleiten und richtete sich auf. »Ja, ich sehe!« rief Milarepa. Meinen ewigen Dank! Aber bitte erlaube mir noch eine Frage: Was kommt nach der Erleuchtung? Abermals lächelte der Mann, bückte sich und hob seinen schweren Sack wieder auf. Er legte ihn sich auf die Schulter, rückte die Last zurecht und ging seines Weges.

Ein Professor wanderte weit in die Berge, um einen berühmten Zen-Mönch zu besuchen. Als der Professor ihn gefunden hatte, stellte er sich höflich vor, nannte alle seine akademischen Titel und bat um Belehrung. 'Möchten Sie Tee?' fragte der Mönch. Ja, gern, sagte der Professor. Der alte Mönch schenkte Tee ein. Die Tasse war voll, aber der Mönch schenkte weiter ein, bis der Tee überfloss und über den Tisch auf den Boden tropfte. 'Genug! rief der Professor'. Sehen Sie nicht, dass die Tasse schon voll ist? Es geht nichts mehr hinein. Der Mönch antwortete: Genau wie diese Tasse sind auch Sie voll von Ihrem Wissen und Ihren Vorurteilen. Um Neues zu lernen, müssen Sie erst Ihre Tasse leeren.

Ein Mönch fragte einmal Meister Joshu: "Hat ein Hund die Buddha Natur oder Nicht?" Joshu sagte "Mu!"

Ein junger Arzt in Tokio namens Kusuda traf einen Studienkameraden, der Zen studierte. Der junge Doktor fragte ihn, was Zen sei. "Ich kann dir nicht sagen, was es ist,", antwortete der Freund, "aber eines ist sicher: wenn du Zen verstehst, hast du keine Angst vor dem Sterben mehr." "Das ist gut", sagte Kusuda. "Ich will es versuchen. Wo kann ich einen Lehrer finden?" "Geh zu Meister Nan-in", sagte der Freund. Also ging Kusuda zu Nan-in. Er nahm einen langen Dolch mit sich, um festzustellen, ob der Lehrer Angst vor dem Sterben hatte oder nicht.
Als Nan-in Kusuda erblickte, rief er: "Hallo, Freund. Wie geht es dir? Wir haben uns lange nicht gesehen!" Das verblüffte Kusuda und er antwortete: "Wir sind uns noch niemals zuvor begegnet." "Das stimmt", antwortete Nan-in. "Ich verwechselte dich mit einem anderen Arzt, der hier Unterricht erhält." Mit diesem Beginn hatte Kusuda die Gelegenheit verpasst, den Meister zu prüfen, und so fragte er widerwillig, ob er Zen-Unterricht erhalten könne. Nan-in sagte: " Zen ist keine schwierige Aufgabe. Wenn du ein Arzt bist, so behandle deine Patienten mit Güte. Das ist Zen." Kusuda besuchte Nan-in dreimal. Jedes mal sagte ihm Nan-in dasselbe. "Ein Arzt sollte nicht seine Zeit hier vergeuden. Geh' heim und kümmere dich um deine Patienten."
Kusuda leuchtete nicht ein, wie solch eine Lehre die Angst vor dem Sterben beseitigen sollte. So beklagte er sich beim vierten Besuch: "Mein Freund sagte mir, dass man, wenn man Zen erlernt, die Furcht vor dem Tode verliert. Jedes mal, wenn ich hierher komme, ist alles, was Sie mir sagen, ich solle mich um meine Patienten kümmern. So viel weiß ich selbst auch. Wenn dies das sogenannte Zen ist, so will ich Sie nicht weiterhin besuchen." Nan-in lächelte und tätschelte den Doktor. "Ich war zu streng mit dir. Ich will dir ein Koan geben." Er bot Kusuda Joshus "Mu" als Aufgabe, das erste der Geist erleuchtenden Rätsel aus dem Buch "Das torlose Tor".
Kusuda grübelte über diesem Problem des Mu (Nichts) zwei Jahre lang.
Endlich dachte er, er habe die Gewissheit des Geistes erlangt. Aber sein Lehrer stellte fest: "Du bist noch nicht drin." Kusuda setzte seine Übung der Konzentration weitere anderthalb Jahre lang fort. Sein Geist wurde gelassen. Die Probleme lösten sich auf. Nichts wurde Wirklichkeit. Er diente seinen Patienten aufs beste, und ohne es zu wissen, war er frei von Beunruhigung um Leben und Tod. Als er Nan-in wieder besuchte, lächelte sein alter Lehrer nur.