Die libertäre Grundeinstellung

Murray Newton Rothbard, 1926 in New York City geboren und 1995 dort gestorben, war ein US-amerikanischer Ökonom und politischer Philosoph. Warum ich ihn ausgrabe? Er war der maßgebliche Vordenker der anarcho-kapitalistischen Bewegung und der Libertarian Party in den USA. Um die Grundeinstellung eines Libertären zu verstehen, zitiere ich einige Aussagen aus einem seiner Essays.

Einordung: Als Ökonom stand er in der Tradition der Österreichischen Schule. Kulturell war er konservativ eingestellt und wurde als junger Mann durch den Geist der amerikanischen Old Right beeinflusst. Schubladierer verpassen ihm das Label des Paläolibertarismus.

Murray N. Rothbard schrieb 1974:

„Erstaunlicherweise findet man unter der wachsenden Zahl Libertären in diesem Land viele Menschen, die aus einer sehr begrenzten und persönlichen Sichtweise heraus zu einer Libertären Haltung gelangt sind. Viele von Ihnen erliegen der Freiheit als einem intellektuellen Gedankenkonstrukt, oder einem ästhetischen Zweck. Sie bleibt dabei jedoch eine rein intellektuelle Spielwiese, völlig losgelöst vom alltäglichen, „wirklichen“ Leben.

Andere machen sich die libertäre Haltung einzig aus persönlichem Profitstreben zu Eigen. Weil sie erkennen, dass ein freier Markt fähigen und unabhängigen Individuen größere und vielfältigere unternehmerische Gewinnchancen einräumt. Sie werden und bleiben libertär, lediglich um ihre persönlichen Profitmöglichkeiten zu erweitern.

Obwohl es stimmt, dass die Profitmöglichkeiten auf freien Märkten und in einer freien Gesellschaft sehr viel größer und vielfältiger sein würden, ist es doch absurd, diesen Aspekt als den entscheidenden Grund herauszustellen, eine libertäre Gesinnung anzunehmen. Denn auf dem oft steinigen und beschwerlichen Weg zur Freiheit sind die Gewinnchancen des Libertären sehr viel öfter eher schlecht als recht.“

„Es ist richtig und wichtig zu wissen, dass freie Märkte mehr Wohlstand und eine stabilere Wirtschaft für alle bedeuten, Arm und Reich gleichermaßen.“

„Unserer Meinung nach, kann eine erfolgreiche libertäre Bewegung – eine konsequente Hingabe zur individuellen Freiheit – nur in einer Leidenschaft für Gerechtigkeit wurzeln.“

„Um aber eine Leidenschaft für Gerechtigkeit zu entwickeln, braucht es eine Theorie darüber, was Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sind – also, eine Reihe ethischer Prinzipien der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, die durch die utilitaristische Wirtschaftstheorie nicht bereitgestellt werden können.

Weil wir eine Welt sehen, die übersät ist von Ungerechtigkeiten, dass es zum Himmel schreit, streben wir eine Welt an, in der diese Ungerechtigkeiten ausgelöscht werden. Andere traditionelle und radikale Ideen, wie etwa die „Beseitigung der Armut“, sind, im Gegensatz zu dieser Idee, tatsächlich utopisch, denn der Mensch kann die Armut nicht durch den bloßen Gebrauch seines Willens aus der Welt schaffen.“

„Ungerechtigkeiten dagegen sind Taten, die von einer Gruppe von Menschen an einer anderen Gruppe begangen werden. Sie sind menschliches Handeln und genau deswegen unterliegen sie unmittelbar dem menschlichen Willen.“

„Eine wahrhafte Leidenschaft für Gerechtigkeit muss radikal sein – sie muss zumindest ihre Ziele radikal und unmittelbar erreichen wollen.“

„Read stellte sich die Frage, was mit dem Netz aus bürokratisch oktroyierten Lohn- und Preiskontrollen geschehen solle? Die meisten liberalen Ökonomen würden scheu, oder „realistischer Weise“ eine graduelle und gestaffelte Deregulierung befürworten, aber für Read bleibt es unmissverständlich eine radikale Prinzipienfrage:

„Wenn es auf diesem Podium einen Schalter gäbe“, so begann er seine Rede, „dessen Auslösung alle Lohn- und Preiskontrollen unmittelbar verschwinden ließe – Ich würde meinen Finger auf ihn legen und drücken!“

Der aufrichtige Libertäre […] würde also, in den Worten eines anderen Libertären in ähnlichem Zusammenhang, „Diesen Schalter bis zur Blasenbildung drücken!““

„Durch die Gerechtigkeit bestärkt, lässt er sich nicht durch amoralische utilitaristische Appelle verbiegen, dass etwa Gerechtigkeit erst dann erreicht werden könne, wenn die Kriminellen „kompensiert“ würden.“

„[…] im frühen 19. Jahrhundert […] kamen sehr schnell die ersten moderaten Gegenstimmen auf, die behaupteten, dass eine Abschaffung der Sklaverei nur dann gerecht sei, wenn man die Sklavenhalter finanziell für den Verlust entschädige. Es hieß […] dass den Sklavenhaltern, nach Jahrhunderten der Unterdrückung und Ausbeutung, noch eine angemessene Summe zustünde, die man den vielen unschuldigen Steuerzahlern gewaltsam entreißen müsse!

Den treffendsten Kommentar zu diesem Vorschlag finden wir beim radikalen englischen Philosophen Benjamin Pearson, der bemerkte, dass „er eigentlich davon ausging, dass es die Sklaven seien, denen eine Entschädigung zustünde.“ Selbstverständlich hätte eine solche Entschädigung gerechterweise nur von den Sklavenhaltern selbst gezahlt werden können““

„Als erstes müssen Ziele formuliert werden. In diesem Fall würde es sich um die unmittelbare Abschaffung der Sklaverei handeln, oder jedweder anderer Form staatlicher Unterdrückung, die wir betrachten.

Bei der Formulierung der Ziele darf die Wahrscheinlichkeit ihrer Umsetzung noch nicht mit einbezogen werden. Die libertären Ziele sind „realistisch“, in dem Sinne, dass sie erreicht werden könnten, wenn genügend Menschen sie für wünschenswert, und ihre Umsetzung als einen Schritt hin zu einer besseren Welt erachteten.

Der „Realismus“ des Ziels kann nur durch eine Kritik des Ziels selbst in Frage gestellt werden, nicht aber durch Probleme in der Umsetzung.“

„Darum war es keinesfalls „unrealistisch“, als William Lloyd Garnison in den 1830er Jahren die unverzügliche Gleichberechtigung von Sklaven forderte. Sein Ziel war das richtige, und sein strategischer Realismus äußerte sich darin, dass er nicht davon ausging, dass dieses Ziel sehr schnell erreicht werden könnte. Garnison selbst brachte es so zum Ausdruck:

“Unverzügliche Aufhebung der Sklaverei zu verlangen, so aufrichtig wir es auch tun, wird, Ach!, doch nur in schrittweiser Aufhebung münden. Wir haben niemals behauptet, dass die Sklaverei mit einem einzigen Streich ausgelöscht werden würde – dass sie es werden sollte, dafür stehen wir.”“

„Die Sklaverei wäre niemals abgeschafft worden, hätten die Abolitionisten dies nicht bereits 30 Jahre vorher gefordert – und, wie es die Geschichte wollte, war die Absolution dann im Endeffekt doch eher ein einziger Streich, als ein gradueller Prozess.“

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Aus dem Englischen übersetzt von Karl-Friedrich Israel und Steffen Hering. Der Text ist der Aufsatzsammlung Egalitarianism as a Revolte Against Nature, and Other Essays aus dem Jahr 1974 entnommen.

Quelle: www.misesde.org