C.G. Jung

Das Bild, das ich innerlich von Sigmund Freud habe, ist kalt. Hingegen spüre ich beim Namen Carl Gustav Jungs eine positive, warme Ressonanz tief in meiner Seele klingen. Vor Kurzem näherte ich mich zum ersten Mal inhaltlich diesem berühmten Schweizer Psychiater. Was ich fand, überraschte mich und brachte mir schon nach wenigen Sätzen wertvolle, neue Erkenntnisse.
(Quelle: Wikipedia)

C. G. Jung lebte von 1875 und gilt als der Begründer der analytischen Psychologie. Aber die analytische Psychologie? Hat die nicht Freud begründet? Er und Freud waren zumindest eine Zeit lang Freunde.

Jung sagte in einem Referat zu Freuds Schrift mit dem Titel Über den Traum: "Ich hatte das Buch wieder weggelegt, weil ich es noch nicht begriff. 1903 nahm ich die Traumdeutung noch einmal vor und entdeckte den Zusammenhang mit meinen eigenen Ideen."  In Folge wies Jung bis 1905 in nahezu allen publizierten Werken auf Freuds Arbeiten positiv hin - nur nicht auf seine Sexualtheorie. Deren Inhalt führte zum Streit.

Als sich Jung für den damals unpopulären Freud einsetzte, tat er das, wie er selbst schrieb, als unabhängiger, eigenständiger und Freud ebenbürtiger, für seine Assoziationsstudien und Komplextheorie bekannter Fachwissenschaftler. Später schrieb er, seine "Mitarbeiterschaft vollzog sich unter dem Vorbehalt eines prinzipiellen Einwandes gegen die Sexualtheorie". Jungs Unterstützung dauerte bis zu dem Moment, wo Freud Sexualtheorie und Methode prinzipiell miteinander identifizierte.

Jung kritisierte Freuds Libidobegriff, „der von der vorrangigen Bedeutung des Geschlechtstriebes ausging, welche aus der Kindheit des jeweiligen Individuums herrühre“. Für Jung war die Libido mehr als nur Sexualtrieb.  Er war der Auffassung, „dass die Definition erweitert werden, der Libidobegriff ausgedehnt werden müsse, sodass auch universelle Verhaltensmuster, die vielen unterschiedlichen Kulturen in unterschiedlichen geschichtlichen Perioden gemein waren, von ihm erfasst würden“.

Freud erklärte daraufhin, „daß er die Arbeiten und Ausführungen des Schweizer nicht als legitime Fortsetzung der Psychoanalyse ansehen könne“.  1912 führten diese Differenzen zum Bruch. Nach scharfen persönlichen Vorwürfen von Jung kündigte Freud ihm im Januar 1913 schriftlich die Freundschaft.

Archetypen


Jungs beschäftigte sich mit Mythen, Märchen und Vorstellungsbildern aus unterschiedlichen Zeiten und Kulturen, die nicht voneinander beeinflusst worden waren. Das brachte ihn zu einer großen Erkenntnis: «Tatsache ist, daß gewisse Ideen fast überall und zu allen Zeiten vorkommen und sich sogar spontan von selber bilden können, gänzlich unabhängig von Migration und Tradition. Sie werden nicht vom Individuum gemacht, sondern sie passieren ihm, ja sie drängen sich dem individuellen Bewusstsein geradezu auf. Das ist nicht platonische Philosophie, sondern empirische Psychologie».

Das meint: Nach Jung sind Archetypen universell vorhandene Strukturen in der Seele aller Menschen, unabhängig von ihrer Geschichte und Kultur. Sie können sich im Einzelnen und in Gesellschaften unterschiedlich realisieren. Jung fiel auch auf, dass «gewisse archetypische Motive, die in der Alchemie geläufig sind, auch in Träumen moderner Personen, welche keinerlei Kenntnisse der Alchemie haben, auftreten.» Er nannte diese Gemeinsamkeiten Archetypen. Im Individuationsprozess vieler seiner Patienten hätten diese besondere Rolle.

Individuation


Der Begriff Individuation kommt vom lateinischn Wort individuare, sich unteilbar/untrennbar machen. Es meint den Weg zu einem eigenen Ganzen. Die Individuation beschreibt den Prozess des Ganzwerdens des Menschen zu etwas Einzigartigem, einem Individuum. Im Individuationsprozess eines Menschen wird der Mensch zu dem, was er „wirklich“ ist.

Die Individuation ist die Entfaltung der eigenen Fähigkeiten, Anlagen und Möglichkeiten. Ihr Ziel ist die schrittweise Bewusstwerdung, um sich dadurch als etwas Eigenes und Einmaliges zu erkennen und zu verwirklichen; ICH-Werdung und Selbst-Werdung.

Psychologische Typen 


Bei seinem täglichen Umgang mit Patienten merkte Jung schnell, dass Menschen sich sehr verschieden verhalten. Also seien sie auch unterschiedlich zu behandeln. Daraufhin entwickelte er die Unterscheidung in extrovertierte und introvertierte Menschen, basierend auf der antiken Temperamentenlehre.

Exkurs: Temperamentenlehre

Introvertierte Temperamente sind der Phlegmatiker und der Melancholiker. Extravertierte Temperamente sind der Choleriker und der Sanguiniker.

Der Phlegmatiker ist benannt nach dem griechischen Phlegma - Hitze, Flamme, Entzündung, Schleim. Er ist langsam, ruhig und manchmal sogar schwerfällig ist. Ihm fallen Begriffe zu wie Trägheit und Mangel an Lebhaftigkeit. Im positiven Sinn ist er friedliebend, ordentlich, zuverlässig und diplomatisch.

Der Melancholiker ist benannt nach den altgriechischen Wörtern melas - schwarz und χολή - Galle. Er neigt zu Melancholie, Schwermut, Trübsinn und Traurigkeit, aber auch zu Misstrauen und Kritik. Im positiven Sinn ist der Melancholiker verlässlich und selbstbeherrscht.

Der Choleriker ist nach dem griechischen Wort für Galle benannt, ohne schwarz. Er ist leicht erregbar, unausgeglichen, jähzornig, zu Wutanfällen neigend. Im positiven Sinn ist er willensstark, furchtlos und entschlossen.

Der Sanguiniker ist nach dem lateinischen Wort Banguis - Blut, benannt. Er ist ein heiterer, lebhafter und leichtsinniger Mensch, auch phantasievoll, gesprächig und optimistisch. Als negative Eigenschaften werden ihm Unstetigkeit, wenig Skrupel und häufige Exzesse zugeschrieben.

Aus dieser Temperamentlehre entwickelte Jung seine eigene Typenlehre.

Als extravertiert bezeichnete Jung einen Menschen, dessen Verhalten auf die äussere, objektive Welt ausgerichtet und von ihr geleitet wird. Introvertierte Menschen sind dagegen auf ihre innere, subjektive Welt ausgerichtet und verhalten sich deren Anforderungen entsprechend.

Da diese Differenzierung nicht ausreichte, entwickelte er ein Modell, bestehend aus vier Funktionen – Denken, Fühlen, Intuition und Empfinden – das, kombiniert mit dem Attribut introvertiert oder extravertiert, acht Möglichkeiten ergibt, aus denen sich je nach Paarung acht Typen zusammensetzen lassen.

In der modernen Psychologie und Forschung spielen Jungs psychologische Typen jedoch keine Rolle mehr. Sie gilt aus wissenschaftlicher Sicht als überholt. Anwendung findet sie noch in der Waldorfpädagogik und in der Populärpsychologie.  Lediglich die Begriffe introvertiert und extravertiert werden noch als Fachbegriffe und in der Alltagssprache genutzt. Seltsam, oder?

Synchronizität


Die Synchronizität ist super spannend. Benannt nach dem griechischen Wort synchron - gleichzeitig. Sie bezeichnete relativ zeitnah aufeinander folgende Ereignisse, die nicht über eine Kausalbeziehung verknüpft sind, die der Beobachter jedoch als sinnhaft verbunden erlebt. Fast jeder Mensch hat damit schon Erfahrungen gemacht, oder?

Jung bezeichnet mit dem Begriff sowohl das Phänomen als auch das hypothetisch dahinterstehende Prinzip. Er verwendet den Begriff „synchronistisches Prinzip“ erstmals 1930. „Die Wissenschaft des I Ging beruht nämlich nicht auf dem Kausalprinzip, sondern auf einem bisher nicht benannten – weil bei uns nicht vorkommenden – Prinzip, das ich versuchsweise als synchronistisches Prinzip bezeichnet habe.“

Exkurs: Das I Ging

Das I Ging - das Buch der Wandlungen“ oder „Klassiker der Wandlungen“ ist eine Sammlung von Strichzeichnungen und zugeordneten Sprüchen. Es ist der älteste der klassischen chinesischen Texte - und damit sehr sehr alt, wahrscheinlich liegen seine Ursprünge im 3. Jahrtausend vor Christus.

Das I Ging enthält 64 verschiedene Figuren (Hexagramme). Ein Hexagramm besteht aus sechs Linien, die jeweils in zwei verschiedenen Arten vorkommen können: Als durchgezogene waagerechte Linie (hart) und als in der Mitte unterbrochene waagerechte Linie (weich). Aus diesen beiden Linienarten werden alle 64 Hexagramme gebildet.

Die 64 Bilder oder Grundzeichen beschreiben Kräfte, Situationen oder Aufgaben, Familie, persönliche Eigenschaften oder Fähigkeiten, konkrete Tätigkeiten und politische Phasen – meist enthalten sie abstrakte Begriffe mit mehreren Deutungsmöglichkeiten.

Jung schätzte das I Ging sehr und sah darin eine Möglichkeit des Zugangs zum Unterbewusstsein. Andere lesen darin die Grundprinzipien höherer Magie und die Schöpfungsprinzipien des gesamten Universums.

Astrologie


Über Jahrzehnte beschäftigte sich C. G. Jung nach eigener Aussage mit Astrologie. 1911 hiess es in einem Brief an Sigmund Freud:

"Meine Abende sind sehr in Anspruch genommen durch die Astrologie. Ich mache Horoskopberechnungen, um dem psychologischen Wahrheitsgehalt auf die Spur zu kommen. Bis jetzt einige bemerkenswerte Dinge, die Ihnen gewiß unglaublich erscheinen werden. […] Ich muß sagen, daß in der Astrologie eines Tages sehr wohl ein gutes Stück Wissens von Ahnungs wegen, das an den Himmel geraten ist, entdeckt werden könnte."

Dem indischen Astrologen Raman schrieb Jung Ende 1947, er interessiere sich seit über 30 Jahren für astrologische Probleme und ziehe bei schwierigen psychologischen Diagnosen oft das Horoskop des Patienten zur Erhellung zu Rate, um neue Gesichtspunkte zu gewinnen. In vielen Fällen enthielten die astrologischen Angaben eine Erklärung für bestimmte Tatsachen, die ich sonst nicht verstanden hätte.

Mit dem Physik-Nobelpreisträger Wolfgang Pauli verfasste er das Buch Naturerklärung und Psyche. In einer „astrologischen Statistik“ untersuchte er darin u. a. eine grosse Reihe von Geburtshoroskopen Verheirateter und Unverheirateter auf eine „Ehe“-Konstellation hin. Er meinte in seiner ersten Erhebung tatsächlich einen höheren proportionalen Anteil der „Sonne-Mond-Verbindung“ bei Verheirateten gegenüber den Vergleichs-Horoskopen von Unverheirateten zu finden.

Spätere, von ihm wiederum selbst durchgeführte „Kontrolluntersuchungen“ bestätigten aus seiner Sicht diesen Zusammenhang nicht. Er vermutete daraufhin, dass in einem „synchronistischen Kontext“ die „statistischen Ergebnisse“ abhängig seien von der jeweiligen, unterschwelligen Erwartungshaltung des Forschers.

Fortan lehnte er wissenschaftliche Beweisversuche zugunsten der Astrologie ab und bescheinigte statistischen Methoden insgesamt einen grundsätzlich „ruinösen Einfluss“ auf „Zufälle“ und „Synchronizitätsvorgänge“. Ich finde das sehr bemerkenswert!

Alchemie


Jung verstand die abendländische Alchemie als Darstellungen von Alchemisten, die ihr eigenes projiziertes Unbewusstes im Stoff erlebten. Die Alchemisten orientierten sich an ihren Träumen und Visionen, um an das Geheimnis des Stoffes heranzukommen. Doch sie kannten noch keinen Weg dorthin. Damit befanden sie sich in der gleichen Situation wie der moderne Mensch. Der möchte das Unbekannte der unbewussten Psyche erforschen, kennt aber den Weg noch nicht.

Die Alchemisten fassten die anorganische Materie als ein lebendiges Unbekanntes auf. Um es zu erforschen, müsse man mit ihr eine Beziehung herstellen. Dazu dienten ihnen Träume, Meditationsübungen und die Phantasieform der «phantasia vera et non phantastica». Das entsprach dem, was Jung als aktive Imagination entwickelte hatte. (In diesem Sinne stand Goethe übrigens auch in der Tradtion der Alchimisten. Er lies die Natur auf "sich wirken".)

Christentum


Religionsgeschichtlich fasste Jung das Werk der Alchemie als Versuch zur Weiterentwicklung des Christentums auf. Sie bilde «so etwas wie eine Unterströmung zu dem die Oberfläche beherrschenden Christentum. Sie verhält sich wie der Traum zum Bewusstsein, und wie dieser die Konflikte des Bewusstseins kompensiert, so bestrebt sich jene, die Lücken, welch die Gegensatzspannung des Christentums offen gelassen hat, auszufüllen».

Ein wichtiges Motiv der Alchemie ist für Jung das der «Königserneuerung». Sie schildert die «Wandlung des Königs aus einem unvollkommenen Zustand zu einem heilen, vollkommenen, ganzen und inkorruptiblen Wesen.»

Psychologisch sei der König Symbol für das Bewusstsein sowie für die geistige und religiöse dominierende Vorstellung einer Kultur. Bei den Alchemisten war das die mittelalterlich-christliche Weltanschauung. Diese sei für sie ungenügend geworden, weil ihr der dunkle, chthonische Naturaspekt und «die Beziehung zu der Gottebenbildlichkeit der Schöpfung, das Naturgefühl der Antike» fehlte.

Exkurs: Chthonismus

Chthonismuskommt vom griechischen chton - Erde. Der Begriff bezeichnet eine mythische Weltanschauung. Sie stellt die als Mutter personifizierte Erde oder Natur in den Mittelpunkt steht. Der väterliche Himmel steht ihr gegenüber. Häufig besteht dabei ein zweigeteiltes Verhältnis von Erdmutter und väterlichem Himmel. 

(Wie wir wissen, hat das Christentum das Verhältnis des Menschen zum "Vater im Himmel" ins Zentrum gerückt. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, beides zusammenzuführen - die materielle Beziehung zu Mutter Erde (Mystik) und die geistige Beziehung zum Vater im Himmel (Christentum).)

Nicht nur bei Jung gilt: Die Vereinigung (im Terminus der Alchemisten: coniunctio) von Rex (Sol=Sonne) und Regina (Luna=Mond) bedeute die Vereinigung des Tagesprinzips, Symbol für das lichtvolle Bewusstsein mit dem nächtlichen Licht, Symbol für das Unbewusste.

Auf individueller Ebene führe dies zunächst zu einer Art Auflösung des Ichbewusstseins und damit zu Desorientierung. Dann aber zu einer neuen Geburt, d. h. einem erneuerten Bewusstsein. «Das erneuerte Bewusstsein enthält nicht das Unbewusste, sondern bildet mit diesem eine Ganzheit, die durch den Sohn symbolisiert wird.» (Siehe Christentum)

Die neue Bewusstseinseinstellung, die sowohl dem Bewusstsein als auch dem Unbewussten gerecht wird, verkörpert der Sohn - und das entspricht einer künftigen Gottesvorstellung. Bei den Alchemisten ist diese das «wohlgehütete, kostbare Geheimnis des Einzelnen».

Der «Geist des Stoffes», die alchemistische Gestalt des «Mercurius», wird von den Alchemisten als eine Art von irdischem Gott bezeichnet. Mercurius verstand Jung als verborgenen gottmenschlichen Schöpfergeist, der für viele Menschen heutzutage in den Tiefen der eigenen Seele zu finden sei.

Mercurius «verkörpert all das, was dem christlichen Gottesbild fehlt, d. h. auch die Bereiche der Materie und des Körpers». Er sei ein die Gegensätze einigendes Symbol, das «das neue Licht bringen [kann], wenn das (christliche) Licht erloschen ist».

Psyche und Materie


Jung sah sowohl Geist als auch Materie als archetypisch und letztlich bewusstseins-transzendent an. In seiner Sicht sind beide durch ihre Spuren, die sie in der Psyche des Menschen hinterlassen, beschreibbar. Für ihn war nur das psychische Erlebnis das einzig unmittelbar Gegebene für den Menschen.

Er hielt es auch für möglich, dass die Materie selbst beseelt sein könnte. Er bezeichnete die Psyche u. a. als Qualitätsaspekt der Materie: «Die Psyche ist nicht etwas vom Lebewesen Verschiedenes. Sie ist der psychische Aspekt des Lebewesens. Sie ist sogar der psychische Aspekt der Materie».

«Wir entdecken, daß die Materie noch einen anderen Aspekt hat, nämlich einen psychischen. Das ist eben die Welt von innen betrachtet. Es ist, als ob man bei der Innenansicht einen anderen Aspekt der Materie erblicke.»

Seine Überlegungen zur Alchemie veröffentlichte er v.a. in seinen Werken Theoretische Überlegungen zum Wesen des Psychischen(1946), Synchronizität als ein Prinzip kausaler Zusammenhänge (1952)und Mysterium Coniunctionis (1956).

Mehr Worte von Jung selbst


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Face to face - C. G. Jung

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The World Within - C. G. Jung in his own words

C.G. Jung im Gespräch Originalaufnahme 1960

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