Lieber Freund, das kritisiere ich an dir:

Hi Freund,

danke für die Mail. Nein, ich nehm dir nichts krumm. Ich finde es eigentlich gut, mit was für einer Vehemenz gegen Menschen wie Rüdiger Dahlke und das Thema vegan essen gesprochen wird, wenn es dazu führt, ihm das Gegenteil beweisen zu wollen, man sich also aufmacht, gewissen Spuren möglichst offen und unvoreingenommen zu folgen. So gesehen ist jeder Widerstand gut. Ich halte es für absolut richtig, so zu reagieren. Keine Reaktion wäre fatal. Aber es gibt natürlich auch den Wermutstropfen.

Egal, was ich sage, wen ich zitiere, ich selbst kann fast nie beweisen, dass es wirklich richtig ist, was ich zitiere. Oder kannst du beweisen, dass sich die Erde um die Sonne dreht? Du selbst, meine ich. Das, was du für eine Gewissheit hältst, ist fast immer von außen als Information in dich gekommen und wurde von dir selbst zu einer Überzeugung gemacht. Auch eine viel seriöser aufgezogene "Wissenschafts-Doku“ ist genauso unglaubwürdig, oder glaubwürdig, wie eine reißerische. Allein dein Urteil entscheidet darüber, ob es für dich wahr ist, was gesagt wird, oder nicht. Berufswegen weiß ich inzwischen recht gut, wie man durch mediale Tricks auch Wissenschaftlichkeit simulieren kann. Was man also für richtig hält, ist nach wie vor jedem selbst überlassen. Wenn man sich metamäßig mit der Informationswelt beschäftigt, merkt man, dass viele Interessen daran beteiligt sind, uns Überzeugungen zu verpassen - und diese sich große Mühe geben, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie indoktrinieren, dass sie nicht das freie, eigene Denken fördern, sondern GekaUtes vorlegen, das wir schlucken sollen.

Nun habe ich selbst über den Dahlke schon mehr gelesen als du, ihn schon mehr gehört als du, ich habe insgesamt in den letzten zwei Jahren sehr viel mehr als du aus allen Richtungen zum Thema Gesundheit und Ernährung recherchiert, gelesen gesehen gehört - und vor allem das Wichtigste: Ich habe an mir selbst sehr viel mehr ausprobiert, als die Personen, mit denen ich mich darüber austausche. Interessant ist: Alle, die selbst an sich experimentieren, sind mit mir einer Meinung. Sei es die gute Laune nach dem Sport, seien es die geringeren Nebenwirkungen durch Medikamente, die es nicht in der Apotheke gibt, seien es die positiven Aspekte einer veganen Ernährung. Die ohne eigene Erfahrung wettern am lautesten dagegen.

Daraus resultiert auch die einzige, ehrliche, große Kritik an dir, einigen meiner anderen Freunde und vielen anderen: Ihr lest kaum etwas über diese Themen, ihr recherchiert noch viel weniger in Kreisen jenseits der Massenmedien, glaubt aber, dass das, was ihr wisst, schon alles und die Wahrheit sei. Schon der Unterschied von ARD zu arte ist doch immens. Der Unterschied zwischen all den vielen Zeitschriften und freien Dokus und Webseiten im Netz zu ALLEM was in den Massenmedien kommt ist noch viel größer, ja frappierend. Und ich meine nicht allein die Inhalte. Schon die Themenauswahl und die persönliche Offenheit der Autoren gegenüber Alternativen zu Altbekanntem ist dort viel größer, kommt oft näher an das Bild des unvoreingenommenen, möglichst objektiven Journalisten ran. Es gibt so viel, von dem man in den Massenmedien NICHTS liest. Man findet dort oft nicht mal Kritik an diesen Themen. Und weil das Internet voll davon ist, auf Foren viele Menschen über Erfahrungen und Wissen diskutieren, es Vorträge gibt, die in keiner Zeitung besprochen werden, fand ich es irgendwann spannend, mal genauer nachzuschauen. Es gibt Seminare und Tagungen zum Thema Bewusstsein und Quantenheilung, wo namhafte Physiker auftreten. Hast du davon schon zufällig etwas in deiner Tageszeitung gelesen? Ach, nicht mal die liest du?

Das krasse ist: Wir haben fast alle gesundheitliche Beschwerden, die man mit 30 meiner Meinung nach nicht haben sollte. Oder irre ich mich? Ich meine Allergien, Skelettprobleme, Burnout, Wampe und Starrsinn. Also was zum Henker hindert uns daran, uns einfach selbst auf die Suche zu machen, etwas zu ändern? Es ist die Bequemlichkeit. Es ist nichts anderes als die verdammte Bequemlichkeit und die "Kein-Bock-auf- Veränderung"-Einstellung, weil uns irgendwie der Gedanke reinschleicht, das sei alles normal. Es ist der bequeme Glauben daran, dass alle, die mich informieren, das aus redlichen Gründen tun und die Welt da draußen, vor allem die Supermärkte, nur mein bestes wollen. Ich kann esoterischen Humbug, der sehr einseitig und unklug ist, inzwischen gut unterscheiden von ehrlicher Überzeugung für das Gute. Kannst du erkennen, wie sehr dein Konsumverhalten von Verkaufsinteressen manipuliert ist - oder hältst du alles, was du tust, für eine Ausgeburt deiner inneren Ethik, deiner freien Bildung und deines Gemeinschaftssinns?

Ein Mann wie Dahlke überzeugt schon allein durch sein strahlendes Aussehen und seine Fitness im Alter von 62 Jahren. Auch seine Sanftheit, die natürlich auch Marketingstrategie sein könnte, ist sympathisch. Im Buchladen gibt es übrigens die große China-Study, die er zitiert und für Dummies übersetzt hat. Ja, lach du nur, für Dummies, die keine wissenschaftlichen Texte lesen können. Du weißt selbst, wie idiotisch manche wissenschaftlichen Texte geschrieben wurden. Ich mache ständig den Job, Fachtexte einfacher zu formulieren. Das ist absolut legitim. Ja sogar eine wichtige Dienstleistung. Wissenschaftliche Erkenntnisse sollten der Allgemeinheit nicht durch Fachjargon verschlossen bleiben. Und jetzt kommt es: So wie ich die Situation einschätze, liest ein echter Kritiker natürlich die schlechte Kritik zu der Studie bei Amazon, erklärt alle anderen positiven Kritiker für verblendet und kauft die Studie einfach nicht - weil das viel bequemer ist, oder?

Zu mir: Ich habe Geographie studiert - und es gibt etwas, das mich richtig irritiert. Aus dem Studium gehen wirklich wenig überzeugte Naturschützer hervor. Wir lernen viel. Wissenschaft und so. Trallala. Dass aber unser eigenes, ganz individuelles und folglich gesellschaftliches Verhalten einen riesigen Schaden anrichtet - in allen Natursphären, wird kaum reflektiert. Wir untersuchen und untersuchen. Wir verstehen. Wir verstehen. Wir reflektieren? Wir ändern? Nö. Zu anstrengend. Zu viel. Zu unwichtig. Warum soll ich Fahrradfahren und Treibhausgas einsparen wenn in China Braunkohlflöze brennen? Bloß nicht akzeptieren, dass ich Teil des ganzen Theaters bin. Das System ist schuld. Die Anderen sind schuld. Was kann ich schon ändern. Die Gesellschaft ist halt so. Die Gesellschaft ändern? Ja, irgendwie schon. Mich selbst ändern? Wieso? Ich bin halt so. Nein, verdammt! Das System und die Gesellschaft existieren nur als Gesamtwerk einzelner Individuen - und jedes Individuum hat die freie Entscheidung, das zu tun, was es will, zumindest bei uns - in sehr großem Maße. Oder zwingt dich jemand mit Waffengewalt zum Autofahren? Nein, du tust es aus eigener Entscheidung. Genauso frei entscheidest du dich zum Fleischessen. Oder hat dir etwa jemand erzählt, dass du das essen sollst, weil es so wahnsinnig wertvoll für deinen Körper ist?

Ich möchte bei aller Negativität die positiven Aspekte nicht schmälern. Es gibt schon so so viele Menschen, die beweisen, dass es anders geht. Ich kenne auch bei mir in Hohenlohe Bauern, die ihre Kühe gut halten. Die soll ein Fleischliebhaber mit seinem Geld unterstützen. Aber die riesige Masse ist das Problem. Und kauft nicht jeder, sogar einer, der viel weiß, einfach so mal eben Schinken im Netto?

Dort liegt der Fehler in eurer Argumentation. Besser: In eurer Stringenz zwischen Wissen und Handeln. Ich weiß, dass das und jenes ungesund sind. Ich weiß, dass es der Natur schadet. Und dann tue ich es trotzdem. Ja? Nein? Und wenn ja, warum? Weil ich ein ignoranter Faulpelz bin, der nur der eigenen Lustbefriedung dient - ohne wirklich Verantwortung zu übernehmen. Irgendwer anderes soll es richten. Irgendwas anderes, ein Medikament zum Beispiel, soll richten, was ich durch konsequentes Lustwandeln anrichte. Und genau daran habe ich mich rangewagt. Ich übernehme Verantwortung. Das tut weh? Das kränkt? Das will das Ego nicht hören - so eine Kritik, die ans Gewissen geht? Dann überlege ich mir, was für ein Mensch ich sein will. Ein Mensch, der vor seinem eigenen Gewissen flüchtet, oder ein Mensch, der sich seinem Menschsein offenbart.

Ich habe mich auf den Weg gemacht, herauszufinden, was mich selbst mit meinem eigenen Verhalten gesund hält, was mich einfühlsam sein lässt, was mich so weitreichend wie möglich positiv handeln lässt, ohne dass ich mir bekannte negative Auswirkungen ignorieren muss. Ich will nicht Teil einer Welt sein, die Afrika ausbeutet, das Klima ruiniert und brutal fies mit Tieren umgeht. Ich will mein Geld, meine einzige wirkliche große Alltagsmacht hier in der Welt, in das investieren, was gut für die Welt ist. 20.000 Euro Einkommen im Jahr. Davon spare ich kaum etwas. Ich gebe also alles aus. Ich bringe jedes Jahr 20.000 Euro in die Welt. Wo geht das Geld hin? In eine Konzernzentrale in den USA? Oder zu einem Bauern in meiner Region? Ich übernehme Verantwortung für mein Handeln. Soweit es eben geht. Ich bin nicht perfekt. Ich bin nicht unfehlbar. Aber ich versuche es. Jeden Tag. Und ich bin sogar bereit gegen die schadhafte Faulheit in uns zu kämpfen, in dem ich dir und mir diesen Brief schreibe und manchmal Antipathie ernte, weil ich Menschen kritisiere.

Was du machst, kann ich nicht ändern, aber ich kann dich darauf aufmerksam machen, dass es anders geht. Ich kann dich auf dein eigenes Gewissen aufmerksam machen. Und ich kann dich mit meinen positiven Erfahrungen motivieren, mehr zu experimentieren. Ich kann sagen, hab den Mut, dich selbst umzuschauen. Mach deine eigenen Erfahrungen mit Menschen, die seit 40 Jahren in Permakultur anbauen, die seit 20 Jahren vegan leben, die 10.000 km Fahrrad im Jahr fahren, die schwere Krankheiten mit Zeug kuriert haben, was es nur im Internet gibt - mit der Warnung: Achtung! Kein zugelassenes Medikament. Mach dein Herz auf und schaue genau hin, was dich glücklich macht. Mich macht es glücklicher, leichter und freier, wenn ich am Tisch sitze und in jedem Nahrungsmittel eine Geschichte erkenne, die mehr voll Achtsamkeit, Verantwortung und Ehrlichkeit ist, als es bei den billigsten Industrie-Produkten der Fall ist.

Durch die vegane Ernährung haben sich im letzten Jahr meine Hautprobleme verabschiedet. Blähungen habe ich überhaupt keine mehr, meine Atemwege sind nicht mehr ständig verschleimt, ich komme bereits morgens mit durchgestreckten Beinen mit den Händen auf den Boden. Vorher war das nur nach langer Dehnung und meist erst abends möglich. Ich habe keine Mittagstiefs mehr. Foodcoma gibt es nicht mehr. Ich bin fit und konzentriert von morgens bis abends. Es hat sich allein für meinen Körper so viel zum Positiven verändert. Diese Geschichten findest du zu Hauf im Internet? Sind die alle Teile einer bösen Verschwörung? Einer Verschwörung von was?

Ich habe die Vielfalt von Gemüse und Kräutern kennengelernt, die uns die Supermärkte verschweigen. Ich kann jetzt die Komplexität und den Aufwand von sorgfältigem Anbau und weitgehend artgerechter Tierhaltung erahnen. Das alles und noch viel mehr möchte ich unterstützen, allein weil es mir damit besser geht, weil ich mein Gewissen ernst nehme, weil meine Seele genießen will, mein Körper gesund sein will - ohne dass andere und unsere Welt daran Schaden nehmen.

Soweit erstmal.

Heute Abend gibt es das wöchentliche Bio-Bier und meine monatliche Portion Schweinebraten von der schwäbisch hällischen Bio-Landsau.

Freundesgrüße