Rilke reitet mich

Am Tisch neben uns hatte inzwischen ein Schwarm Mädchen Platz genommen. Alle saugten Nektar aus Blumen und summten Worte. E. saß mir gegenüber und ich schaute mir sein linkes Ohr an. Nach einer Weile lösten sich seine Augen von den Bienen und widmeten sich der Geschichte einer Überlebenden des Holocaust, die vor ihm auf dem Tisch lag. S.'s Bücherauswahl war beschwerend. Für mich trug eines der Mädchen einen weiten Fellschal. Ihr grünes Kleid leuchtete. Sie war bestiefelt und ihre übereinander-geschlagenen Beine zeigten in meine Richtung. Körpersprache-Spezialisten sagen, dass die Fußspitze in Richtung der Aufmerksamkeit zeigt. Ich zog meinen Schal aus. Die Bewegungen der Biene waren so spitz wie ihre Nase. Ihr Lächeln schmerzte. Aber Körpersprache-Spezialisten sind wohl alles Scharlatane. Also glitt ich vom Stuhl wie ein eingeseifter Aal und rutschte unter den Absatz der Perle. Sie zertrat mich sofort. Es schmatzte als ich starb, und sie schob sich mit einer Bewegung eine Locke aus dem Gesicht. Eine goldene Sekunde später kam ich als Kaffeetasse zurück in die Welt. Ihre langen Finger griffen nach mir und führten mich an ihre Lippen. Die Berührung ließ eine Welle durch meine Öffnung brechen. Feuer brach aus. Ich erblindete. Dann zerfiel die Zeit.