Zwangsbesinnung

Weihnachten kommt gar nicht überraschend: Beim Aufstehen merkt man, dass die Tage kürzer werden. Draußen wird es kälter. Das Verlangen nach Ingwertee entwickelt sich. Haselnuss und Mandelkern werden attraktiv. Es erklingen sogar die ersten Worte über Geschenke. Erinnerungen an die Kindheit, als die Vorfreude noch echt war, ziehen vorbei. Im Nebel erscheint eine Sehnsucht nach Freude über Geschenke, auf die man sich das ganze Jahr gefreut hat. Aber das bleibt als nebulös. Das aktive Denken an Weihnachten wird verdrängt. Die Arbeit ruft. Der Alltag stresst. Die Ruhe nervt. Ablenkung herrscht. Und dann ist es wieder soweit:

Ach, schon wieder Weihnachten. Jetzt muss ich mich beeilen. Ich muss noch schnell vierzehn Geschenke kaufen. Noch schnell viel Sport machen, damit ich drei Tage lang superviel essen kann. Und ich muss schnell besinnlich werden. Oje, die ganze Familie in drei Tagen. Stress!!! Ich bin froh, wenn das alles schnell wieder vorbei ist, diese verdammte besinnliche Zeit. Bald kann ich wieder total unberuhigt und unbesinnlich dahinhetzen, ohne dass die Gesellschaft mich zur Besinnung zwingt.

Gegenwärtig 7

Mein aktueller Status: Stufe 2.
Mein neues Outfit: Wen interessiert das?
Letzte gegessene Pflanze: Spinat.
Motto: Forever in Love.
Vergangenheit: Ja, die gab es.
Neue Richtung: Endlich wandern.
Zum Nachtisch: Immer Schokolade.
Zitat der Stunde: "Es ist nicht unsere Aufgabe, einander näher zu kommen, so wenig wie Sonne und Mond zueinander kommen oder Meer und Land. Unser Ziel ist, einander zu erkennen und einer im anderen das zu sehen und ehren zu lernen, was er ist: des andern Gegenstück und Ergänzung." (Herrman Hesse)

Ich brabbel, also bin ich.

Alles folgt dem Plan, der mit dem Aufwachen beginnt. Der Klingelton erwischte mich bei Monica Bellucci. Ich war gerade dabei sie in einen Pool zu tragen, da riss mich der Weckerarsch aus meiner Fantasy. Ich schlug nach ihm und verfehlte. Stattdessen traf ich eine harte Kante. Aua. Aber Kante war keine Kante. Es war weich und hatte nachgegeben. Mein Schrei erschrak mich, ich riss meinen Kopf wie eine Kobra zur Seite und starrte ins Licht, um zu sehen was ich erwischt hatte. Ich sah ein Gesicht, eine Hand, die ein Nase hielt, und einen Mund der Geräusche machte, wie eine lebendige Zwiebel. Es war ein Mensch. Ein lebendiger. Wer war diese Frau? Ihre Augen öffneten sich, ihre schmale Hand wurde zum Hammer, ich wurde zum Nagel. Ich sah Sterne und dann wieder die Nacht.

Ein Wecker klingelte. Ich schlug nach ihm. Diesmal traf ich nichts. Allerdings nahm mich der Schwung meiner ins Nichts rasenden Hand mit und versetze mich in eine Drehbewegung. Irgendetwas kam dieser Bewegung entgegen und fing mein Gesicht. Die Nacht hatte mich wieder.

Eintausend Jahre später wacht ich auf. Kein Wecker klingelte. Einer piepste. Wie ein Geschoss traf mich die Erinnerung an die letzten Aufwach-Vorgänge. Ich bewegte mich nicht und behielt die Augen geschlossen. Ich versuchte hinter dem Piepston und in den minikleinen Piepspausen ein Geräusch zu hören. Nichts. Erst als der Weckton immer lauter wurde, traute ich mich, die Augen langsam zu öffnen. Ich sah den Wecker über mir hängend. Er baumelte lässig hin und her und zeigte mit einer geschälten Banane auf meine Nase. Ein kleiner Blutstropfen sammelte sich am unteren Ende der Frucht. Gerade als ich erkannt hatte, was da war, löste er sich und fiel auf mich herab. Mir mitten ins Auge. Wer sich schon mal Eukalyptusöl ins Auge gekippt hat, weiß trotzdem nicht wie schrecklich Blut ist. Der brennende Schmerz erschütterte mein Gehirn und ich verlor das Bewusstsein. Alles folgt welchem Plan?

Lieblingswitze

Was liegt am Strand und redet unverständlich?
- Eine Nuschel.

Was liegt am Strand, redet unverständlich und ist erkältet?
- Eine Niesnuschel.

Was ist blau und steht am Straßenrand?
- Eine Frostituierte.

Was ist rot und steht 100 m weiter?
- Eine Hagenutte.

Was ist orange und rollt übers Land?
- Eine Wanderine.

Was ist orange und schaut durchs Schlüsselloch?
 - Eine Spannderine.

Was ist braun und späht durchs Schlafzimmerfenster?
- Ein Spannzapfen.

Was ist rot und sitzt auf dem WC?
- Eine Klomate.

Was ist weiß und springt im Wald umher?
- Ein Jumpignon.

Was ist braun, süß und rennt durch den Wald?
- Eine Joggolade.

Was ist braun und sitzt hinter Gittern?
- Eine Knastanie.

Was ist rot, rund und hat ein Maschinengewehr?
- Ein Rambodischen.

Was ist braun, knusprig und läuft mit dem Korb durch den Wald?
- Brotkäppchen.

Was ist braun, klebrig und läuft in der Wüste umher?
- Ein Karamel.

Was ist rot, sitzt in einer Konservendose und spielt Musik?
- Ein Radioli.

Was ist grün und radelt durch die Gegend?
- Eine Velone.

Was ist orange, tiefergelegt und hat einen Spoiler?
- Ein Mantarinchen.

Was ist gelb, krumm und schwimmt auf dem Wasser?
- Eine Schwanane.

Was ist orange und steckt traurig in der Erde?
- Ein Trübchen.

Was ist orange, sauer und kann keine Minute ruhig sitzen?
- Eine Zappelsine.

Was ist haarig und wird in der Pfanne fritiert?
- Bartkartoffeln.

Was ist gesund und kräftig und spielt den Beleidigten?
- Ein Schmollkornbrot.

Was steht im Schlafzimmer des Metzgers neben dem Bett?
- Ein Schlachttischlämpchen.

Was ist orange, rund und versteckt sich vor der Polizei?
- Ein Vandalinchen.

Was ist grün um schaut durchs Schlüsselloch?
- Ein Spionat.

Was ist gross, grau und telefoniert aus Afrika?
- Ein Telefant.

Was ist gelb und flattert im Wind?
- Eine Fahnane.

Was ist grün und klopft an die Tür?
- Ein Klopfsalat.

Was ist braun, sehr zäh und fliegt umher?
- Eine Ledermaus.

Was macht 'Muh' und hilft beim Anziehen?
- Ein Kuhlöffel.

Was ist violett und sitzt in der Kirche ganz vorne?
- Eine Frommbeere.

Was ist grün und liegt im Sarg?
- Ein Sterbschen.

Was ist bunt und läuft über den Tisch davon?
- Ein Fluchtsalat.

Was ist braun und schwimmt im Wasser?
- Ein U-Brot.

Was ist schwarz/weiß und hüpft von Eisscholle zu Eisscholle?
- Ein Springuin.

Was ist viereckig, hat Noppen und einen Sprachfehler?
- Ein Legosteniker.

Was ist gelb und immer bekifft?
- Ein Bong-Frites.

Was ist grün, glücklich und hüpft von Grashalm zu Grashalm?
- Eine Freuschrecke.

Was ist ist braun, hat einen Beutel und hängt am Baum?
- Ein Hänguruh.

Was ist orange-rot und riskiert alles?
- Eine Mutorange.

Was ist groß, grau und kritisiert die praktische Vernunft?
- Ein Elekant.

Überliebesbriefe

Überliebesbriefe sind keine gewöhnlichen Liebesbriefe. Sie sind eine spezielle Überart. Es bedarf höchster Konzentrationslosigkeit und absoluter Hingabe an die Gegenwart, um sich zu überwinden, sie zu schreiben. Klingt schwierig, ist aber überschwierig.

Das liegt daran: Meist fehlen dem Liebenden die Worte. Manchmal sogar der Mut. Meist spürt er soagar vor lauter Gefühl nichts mehr. Dann ist er, der gängigen Praxis für überflüssige Bezeichungen nach, überliebt. Das ist der perfekte Zustand, um mit fehlenden, geschriebenden Worten in einem Überliebesbrief zu überzeugen. Wie das geht, überfährt man jetzt.

Wie bei allen Sportarten kommt es auch beim Liebesbriefschreiben nicht auf das richtige Equipment an, sondern auf die Technik. Überliebesbriefe brauchen mehr als das. Sie brauchen Duft, Speichel und eine selbstklebrige Luftpumpe. Augen auf und durch, mein Freund. Selbst aus dem größten Plappermaul kann mal ein Wort kriechen, das es verdient hat, zu übernehmen. Also besorg dir eins. Jetzt. Nicht erst überlegen. Dann kanns losgehen.

Lieber geht über Maden

Schreibe allein, nicht im Raum mit deiner Mutter oder deiner nackten Nachbarin. Buddel nach schönem Papier. Zieh Finte in die Tinte. Begrab deinen Verstand. Nimm einen Schluck Eidechsenschuss und schau weg.

Dann wirst du dein Überichfinden. Gleich neben dir wird es erscheinen. Wenn du es zwingst, dir zu helfen, wird es zuerst fiese Geräusche überbringen, wie kreischende Fingernägel auf Tafelgrün, dann deinen Füller über den Briefbogen schieben und, wenn alles glattgeht, eine Linie schreiben. Als zukünftiger Liebhaber wirst du das überstehen. Und es wird dich übermäßig fit machen für die Worte, die am Ende der Linie auf dich warten. Absender nicht vergessen. Sonst ist es für die Katz und Maus.

Und einmal unter uns: Liebesbriefschreiber wollen doch alle morgen schon. Über-Liebesbriefe-Schreiber sogar gleich. Also Siegelwachs schmelzen, Stempel reindrücken und übergeben.

Überbleibsel abschicken

Zum Schluss noch einige überflüssige Worte an die Empfänger: Liebe Über-Liebesbriefeleser. Lest den Brief mit beiden Händen, mit dem Rücken am Boden. Das geht so: Legt euch hin, schaut euch von innen an. Sagt nichts, bevor ihr nicht spürt, wie euch die Liebe überrennt. Um dabei nicht überrannt zu werden, liegt ihr. Platt wie eine Flunder. Kann jeder, überhaupte ich. Dann klappt das.

Überschlussworte: Ach und Göte haben mal gesagt: Lieber schreibe ich Mist, als wie ich was Schlaues sage. Darum hat er auch nicht überlebt. Übel, oder?

Der Heizungshund


Hat die Heizung die Menschen verändert? Früher hat man Feuer gemacht. Meistens konnte man es sich nur für einen Raum leisten. Vor dem Kamin, beim Ofen oder im Schein der Kerzen, dort traf sich die Familie. Dort unterhielt man sich, musizierte, sprach, schwieg und lauschte. Man war sich nah. Mit vielen Sinnen - nur nicht mit den Augen, den alles fressenden. Heute kann man sich Hallen erleuchten, im Hemd durch Flure wandern und nicht wissen, ob draußen Nacht, Winter oder Krieg ist. Also Ja, die Heizung hat die Menschen verändert. Und die Hunde auch.

Mit dem Fahrrad durch die U-Bahn

Es ist Anfang Mai. Die Stadt hat Fieber. Überall liegt Staub und in manchen Straßen riecht es nach süßem Abfall. Der Himmel ist so weiß wie im Hochsommer. An solchen Nachmittagen sollte man in klimatisierten Räumen arbeiten oder im Schatten eines Baumes im Biergarten sitzen. Doch in der Hitze des grellen Nachmittags treffen sich heute 25 Radfahrer mitten auf einer Kreuzung in Köln. Sie stehen am Eingang zur größten Baustelle der Kölner Verkehrs Betriebe.

Einer der Radler trägt ein saubere Jeans, ein weißes Hemd und eine eng gebundene Krawatte. Über dem Hemd trägt er eine Warnweste und auf dem Kopf einen Schutzhelm. Es ist Herr Heinrich, Bauingenieur und Projektleiter für den Tunnelbau der neuen Kölner U-Bahn. Die Anderen sind Gäste und Bürger der Stadt. Heute dürfen sie sich den neuen Tunnel der U-Bahn in Köln ansehen und mit dem Fahrrad dort fahren, wo bald Schienen liegen werden.

Mystischer Sex

Tatsache ist, dass Menschen, die eine tiefe Erfahrung gemacht haben, sich in einer allumfassenden Liebe auflösen. Dort gibt es weder ein "Ich liebe dich" noch ein "Ich liebe Gott", sondern die Liebe nivelliert alle Ich-Du-Unterscheidungen. Sie durchdringt alles. Will man aber diese Liebe in Worte fassen, so geschieht es häufig, vor allem im Christentum, dass sie in einer Gottesliebe personalisiert wird; oder in der Liebe zu Jesus. Damit aber bekommt die Liebe ein Gegenüber; und in dem Augenblick, in dem sie ein Gegenüber bekommt, kann sie einen erotischen Charakter annehmen.

Aber liegt das nicht in der Natur der Sache? Zu einer Liebesbeziehung gehören doch unweigerlich zwei? 

Ja, aber das Eigentliche der Liebe besteht eben darin, dass diese zwei ihr jeweiliges Ich in einer höheren Einheit transzendieren. Nicht auf die Zweiheit der Liebenden, nicht auf ihren Dialog kommt es an. Das Wesentliche ist der Liebesakt selbst. Rumi hat das sehr genau gesehen. Er schreibt in einem Gedicht: "Ich bin bei dir, und du willst Briefe lesen. - Das ist doch nicht der wahren Liebe Wesen". Er will damit sagen: Ich bin doch da, und obwohl ich da bin, schreibst du mir Liebesbriefe. Man könnte weiterfahren und ergänzen: Ich bin doch da, und obwohl ich da bin liest du mir aus deinem Gebetbuch vor. Kurz: Die Gegenwart des Geliebten wird gar nicht wahrgenommen. Vor der Vereinigung schreckt man zurück. In der mystischen Liebe ist das anders. In ihr gibt es nur die Einheit. Ich frage mich, warum es soviel Angst vor der Einheit gibt.

Willigis JÄGER: Die Welle ist das Meer. Herder, Freiburg im Breisgau, 2000

Du Kamel!

Das Kamel kam mit der Dämmerung. Es erschien in der Wand, erst verschwommen, dann immer klarer wuchs es zu echter Größe heran. Es trottete auf mich zu, blickte mir wie ein gutmütiger Greis in die Augen, knickte zuerst seine Vorderbeine ein, dann senkte es den Hinterleib und legte sich nieder. Sein Kopf blieb wach erhoben. Ich fragte in Gedanken, was es hier mache. Es antwortet mir in ruhiger Stimme: "Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Ich weiß nicht was ich bin? Kannst du es mir erklären?" "Na klar", lachte ich erfreut. "Du bist ein Kamel. Hör gut zu. Ich erkläre es dir." Also erzählte ich dem Kamel, was es war.

Beim Mittagsschlaf gestorben

Gestern Mittag gönnte ich mir seit langem mal wieder ein Mittagsschläfchen. Ich legte mich mit vollem Bauch einfach auf das Sofa. Schön auf die linke Seite. Meinen Kopf bettete ich auf ein rotes Kissen. Mein Blick ging Richtung Couchtisch, der auf Gesichtshöhe vor mir stand. Ich sah ihn von schräg unten schief im Raum stehen. Dann senkten sich auch schon meine Lider, ich holte noch einmal tief Luft und schlief ein. Und irgendwann viel später wachte ich richtig verpennt wieder auf.
Ich machte die Augen auf, sah den Tisch schief an und wunderte mich, wie schräg der in der Landschaft hing. Langsam wurde mir meine Perspektive bewusst, ich schmunzelte in mich hinein und setzte mich auf. Dann ging ich in die Küche und traf dort meine Mitbewohnerin. Sie aß Rösti mit Apfelmus und ich machte große Augen während mir das Wasser im Mund zusammenlief. Wir plauderten ein wenig und freuten uns über die Sonne. Dann zuckte ich leicht und öffnete die Augen.
Was ich sah, erkannte ich erst nicht sofort. Dann dämmerte es: Ich sah wieder meinen Couchtisch von schräg unten. Aha, dachte ich, ich hatte also geträumt. Ich schmunzelte erneut. Der Tisch war einfach so seltsam schräg mitten in meiner Optik. Dann stand ich auf, ging fix ins Bad, warf mir Wasser ins Gesicht, schnappte meinen Schlüssel und sprang kurz darauf in die Straßenbahn. In der Kneipe warteten meine Jungs und das Pils perlte wie im Frühling. Schon wollte ich den dritten Tequila hinunterstürzen, da rüttelte es mich und ich sah schon wieder den schrägen Couchtisch.
Was zum Teufel?! Diesmal starb das Schmunzeln in Verwirrung. Alter, dachte ich bei mir, jetzt reicht es aber. Ich schüttelte mir die Müdigkeit aus dem Kopf, rieb mir die Augen und sagte mir: Los Junge, aufstehen! Ich setzte mich also mal wieder auf und war plötzlich in einer Lounge eines Hotels. Gerade wollte ich die Tochter des Hotelmanagers, dessen Job ich morgen übernehmen würde, verführen, als ich erschrak und die Augen aufriss: Heilige Scheiße! Schon wieder sah ich dieses verdammt Holzbein und die Unterseite des Tisches.
Ich hatte also schon wieder geträumt. Aber jetzt war ich wach. Oder schlief ich noch immer? Ich strengte meinen Geist an und kam zu folgenden Überlegungen: Ja, ich war wach. Ich konnte schließlich denken. Ich spürte auch eine Verbindung zu meinem Körper. Mein Körper war da. Wirklich. Aber ich wollte alle Zweifel ausräumen und checken, ob die Realität real war: Ich hob also meinen Arm an, streckte die Müdigkeit aus ihm und griff zum Tisch. Und bekam Panik.
Ich hatte den Arm angehoben, voll bewusst, ich hatte sein Gewicht gespürt und die Schlafträgheit wahrgenommen. Aber als ich zum Tisch greifen, den Arm in mein Blickfeld bewegen wollte, tauchte er nicht auf. Ich spürte meinen Arm von einer Seite durch die Luft Richtung Tisch wandern. Ganz sicher. Aber ich konnte ihn nicht sehen. Er war nicht da. Also bewegte er sich logischerweise auch nicht.
Ich bebte spürbar – aber wahrscheinlich nur im Traum. Meine Atmung wurde schneller. Ich blickte umher - nur mit den Augen - und ja: Ich wusste nicht einmal wo ich war. Ich entdeckte eine weiße Tür. Aber ich hatte keine Ahnung wer dort in das Zimmer herein kommen würde, wenn ich um Hilfe schreien würde. Ja. Um Hilfe schreien. Danach war mir. Schließlich war hier irgendwas nicht Ok. Ich holte Luft. Tief. Um richtig laut zu schreien. Und ich schrie richtig laut. Aber ich hörte nichts. Das einzige was ich hörte war ein Rauschen. Verdammt! Was war da los? Ich konnte alles sehen, hören, meinen Körper spüren, aber verdammt noch mal nicht bewegen.
Ich war gefangen. Mein Geist hatte die Verbindung zu meinem Körper verloren. Ich dachte immer an eine Schnur von meinem Hirn in meinen Körper, die die Steuersignale weiterleitet. Aber scheiße. Die war wohl gerissen. Alles was ich spürte, war offenbar nur die Fantasie elektischer Impulse. Dann war es mir klar: Ich war tot. Ja. Ganz sicher. Heilige Scheiße. Ich war einfach gestorben. Ogott.
Aber mein Bewusstsein war noch da. Also war ich querschnittsgelähmt, oder was? Die würden mich lebendig begraben oder vielleicht würde ich an Maschinen angeschlossen werden. Falls mich jemand finden würde. Nein, Mann. Ich war mir sicher. Ich war verdammt nochmal tot. Total mausetot. Hier auf meiner Couch gerade gestorben. Mein Geist war noch im Körper. Und gleich würde ich meinen Körper verlassen und schön von oben auf den leblosen Leib hinablicken.
Aber nein. Es machte ZANG! Ich bebte und setzte mich auf. Dann kam ich so langsam klar. Und jetzt bin ich hier und das ist kein Traum. Mann! Nahtoderfahrung oder wasweißich. Auf jeden Fall krasse Scheiße. Das werde ich so schnell nicht vergessen.

Mein Dom

Nur wenige Meter fehlen und ich könnte meine Hand an seine alte, raue Haut legen. Um seine Spitzen zu sehen, muss ich den Kopf in den Nacken legen und die Augen zusammenkneifen. Seine Türme scheinen zu schwanken, dabei ziehen nur die Wolken darüber hinweg. Er macht mich jung und klein – der Kölner Dom.

Das riesige Bauwerk steht mitten in der Stadt neben dem Bahnhof. Neben der pulsierenden Station ist er ein Relikt der Ruhe mit einer langen Geschichte, mit der Gelassenheit eines Greises. Im Vergleich zu modernen Glasbauten und Stahlkonstruktionen wirkt das rohe Gemäuer der Kirche alt und fremd wie das Werk einer fremden Welt. Doch nicht der ganze Dom ist so alt, wie man es sich vorstellt:

Im Jahre 1248 waren die Reliquien der Heiligen Drei Könige schon einige Jahre in Köln und die kleine Kirche am Platz des heutigen Doms nicht mehr nur Amtskirche des Kölner Erzbischofs, sondern schon eine der bedeutendsten Wallfahrtskirchen Europas. Also beschloss man, die den Orte würdigende architektonische Form zu finden: Ein gotischer Dom sollte entstehen. Dem Konzept gotischer Sakralarchitektur gemäß sollten die Menschen beim Anblick des Domes die Größe Gottes und die Macht der Kirche spüren. Die Vertikalen des hohen Skeletbaus weisen Richtung Himmel, wirken elegant und erhaben. So, wie sich die Kirche selbst sah.

Ein Liter Schokolade

I'm not as brave as my friend“, sage ich zu der kurzhaarigen Lolita hinter der Theke. Sie trägt einen rosfarbenen Kuschelpulli. An ihrem schlanken Hals liegt eine Kette mit Anhänger. Ich stelle mir vor, was ihre Brüste hält und vergesse dabei, warum ich vor ihr stehe.
"You should believe in yourself“, antwortete sie mir. Der Kater von gestern versperrt mir den Weg in ihre Augen. Mein Blick zieht sich nach innen und ich bestelle eine heiße Schokolade. Die kleine Lolita stellt mich vor die Entscheidung, wie ich sie lieber hätte, mit Mandel oder Haselnuss. Ich drehe mich um und gehe zu dem Tisch, an dem bereits S. und E. hängen. Wenig später steht vor mir eine Tasse geschmolzener Blockschokolade mit Haselnuss und Mandelkern. Ich lehne mich zurück und nehme das Buch in die Hand, das S. aus einem der Regale neben uns genommen hatte. Es ist Rilke. Ich lese vier Seiten, dann bemerke ich: es ist auf kyrillisch.

Sympathie


Beim ersten Eindruck entscheiden der Gesichtsausdruck, die Kleidung und die Haltung. Sind diese drei Faktoren nicht abstoßend, sondern das Äußere persönlich, gepflegt und natürlich, hält der Mensch sich entspannt und souverän und ist im Gesicht sogar ein Lächeln zu sehen, dann ist der erste Eindruck sympathisch.

Danach werden die ersten Worte getauscht, deren Inhalt noch keine Bedeutung hat. Erst geht es um die Aufmerksamkeit, und ob sie ehrlich ist. Verlogenen Smalltalk kann man sich für das Straßentheater aufsparen. Künstliche Lockerheit ist ebenso unangebracht. Auch der Versuch, tief in die Seele des anderen vordringen zu wollen, ist schlecht. Also immer locker bleiben, sag ich, immer locker bleiben. Und einfach nicht zu viel wollen und nicht zu viel tun. Es wird sich etwas ergeben.

Wenn es sich dann beispielsweise ergeben hat, dass man einige Meter zusammen gegangen ist und auf Stühlen sitzt, um sich zu unterhalten, wird es komplizierter: Ich interessiere mich für die Menschen in meiner Welt. Wirklich. Das klingt banal, ist es aber nicht. Denn die meisten Menschen reden lieber von sich, als zuzuhören. Sie verstehen nicht, dass ich als Zuhörer erst einmal viel mehr Vorteile habe: Ich höre wie sie sprechen, wo sie herkommen und ob das, was sie mir erzählen, Bullshit ist oder interessant. Vielleicht erfahre ich sogar was sie mögen und was nicht, was wiederum ihren Charakter beschreibt. Und ganz wichtig: Ich werde schnell erkennen, ob sie das haben, was ein Gespräch für mich unterhaltsam macht: Humor.

Bei ungefähr gleich verteilter Aufmerksamkeit findet man das auch über mich heraus und wir lernen uns gegenseitig kennen. So wächst ein Gespräch. Ohne beiderseitiges Interesse wächst es nicht. Dann finden wir uns nicht sympathisch.

Es sei denn, ich habe aktives Interesse daran, dass man mich sympathisch findet. Dann geht das Gespräch weiter. Ich lache über falsche Witze, höre grinsend zu, frage freudig nach und ergänze hin und wieder kleine Botschaften aus verschiedenen Leben, die die anderen animieren weiterzusprechen. Es wird uns gut gehen und obwohl man mich nicht kennenlernt, werde ich für sympathisch befunden. Es ist irgendwie schön. Mir macht es Spaß. Für kurze Zeit. Ist das sympathisch? Für die einen ja, für die anderen nein. Ich finde auf jeden Fall alle anderen sympathisch. Die Frage ist nur, für wie lange.

Nachtrag: Kein sozial-intelligenter Mensch käme auf die Idee, sich anderen gegenüber selbst als sympathisch zu bezeichnen. Erst recht dann nicht, wenn er weiß, dass man ihn nicht besonders mag. Stattdessen wird er sich bemühen, ein paar Dinge zu tun, die ihn in den Augen der anderen sympathisch erscheinen lassen. Jung von Matt (2002)

Rilke reitet mich

Am Tisch neben uns hatte inzwischen ein Schwarm Mädchen Platz genommen. Alle saugten Nektar aus Blumen und summten Worte. E. saß mir gegenüber und ich schaute mir sein linkes Ohr an. Nach einer Weile lösten sich seine Augen von den Bienen und widmeten sich der Geschichte einer Überlebenden des Holocaust, die vor ihm auf dem Tisch lag. S.'s Bücherauswahl war beschwerend. Für mich trug eines der Mädchen einen weiten Fellschal. Ihr grünes Kleid leuchtete. Sie war bestiefelt und ihre übereinander-geschlagenen Beine zeigten in meine Richtung. Körpersprache-Spezialisten sagen, dass die Fußspitze in Richtung der Aufmerksamkeit zeigt. Ich zog meinen Schal aus. Die Bewegungen der Biene waren so spitz wie ihre Nase. Ihr Lächeln schmerzte. Aber Körpersprache-Spezialisten sind wohl alles Scharlatane. Also glitt ich vom Stuhl wie ein eingeseifter Aal und rutschte unter den Absatz der Perle. Sie zertrat mich sofort. Es schmatzte als ich starb, und sie schob sich mit einer Bewegung eine Locke aus dem Gesicht. Eine goldene Sekunde später kam ich als Kaffeetasse zurück in die Welt. Ihre langen Finger griffen nach mir und führten mich an ihre Lippen. Die Berührung ließ eine Welle durch meine Öffnung brechen. Feuer brach aus. Ich erblindete. Dann zerfiel die Zeit.

Die Eier-Parabel

Ich sehe es vor mir, wie es explodiert. Das Haus. Ein schreiendes Kind im Vordergrund. Dahinter die Kulisse einer zerstörten Stadt. Rauchfahnen steigen auf. Kommen aber nicht weit, weil der Regen sie auslöscht. Es gibt Pfützen, die das Stahlgrau des Himmels spiegeln. Eine Katze mit gebrochenem Hinterbein humpelt am Kind vorbei. Ihr Fell ist nass und eine Wunde auf ihrem Rücken dampft. Das Kind hält ein Hand hoch, zeigt in die linke Bildecke und sagt folgenden Satz:„Mein Laster ist noch da drin, Mama.“ Am rechten Bildrand schiebt sich eine Hand ins Bild und hält einen blitzblankstrahlenden, kleinen, gelben Bagger.

Eine männliche Stimme aus dem Off sagt: „Mein liebes Kind. Warum hast du ihn denn nicht mitgenommen?“ Was will uns diese Parabel – und es ist eine Parabel, weil es ja sonst nichts anderes sein kann – sagen? Was will uns das Kind mit auf den Weg geben? Ich sage: Ja. Ja, so ist das beim Vorspiel und beim Nachspiel und die Explosion ist viel zu früh. Aber das ist eben das Frühstück. Wenn die Eier kochen.

Im Schlürf

Ich fange also an nachzudenken. Da kommt eine SMS in Versalien. Sie empfiehlt mir zwei Songs von einem müden Sänger. Zack! Yougetubed und schon läuft es. Der Sänger scheint müde zu sein, obwohl er gut singen kann. Das versteh ich nicht. Warum freut der sich nicht? Das versucht mich in meiner Kreativität zu erschüttern, schafft es aber nicht, weil seine Texte mich zerflexen. Sie klingen tiefsinnig und weltschmerzlich. Aber ich spiele den Worten ein Schnippchen und schalte mein Verständnis der englischen Sprache aus. Das strapaziert meine Konzentration. Ich ermüde. Dann dauert es nur noch ein paar Sekunden und ich will nur noch Schweigen und mit Florence im Ohr alleine sein. Denn nur Florence hat den gleichen Waldköniginnen-Kriegsgesang wie ich, wenn ich ganz still bin. Aber jetzt ist der Mann mit seiner Stimme links und rechts an meinem Kopf und singt wie ein Bär kurz vor dem Winterschlaf: „Ich hab wahrlich schon viel gelebt, junger Padabär. Lass uns ruhen. Lange ruhen.“

Und dann würde sich die Padabärfamilie kerzlich am Ofen treffen, Wintertee trinken, sich das Fell graulen und schon tief und fest schlafen, wenn das Feuer nur noch glimmt. Vielleicht träumen sie dann von großen, hölzernen Wikingerschiffen, die stolz, unter vollen Segeln durch weite Wolken segeln. Von der Sonne beschienen. Mit wehenden Fahnen. Sie sehen starke Bären an Rehlingen stehen während große Bärinnen steuern, die Leinen raffen und die Richtung halten. Sie würden von Vögeln träumen, die wild um die Flotte fliegen und mit kehligen Rufen den Winter beschwören, der kurz davor ist, das Land einzunehmen, um es mit seiner dunklen Kälte zu befrieden. Aber vielleicht träumen Bären gar nicht von Wikingerschiffen sondern von japanischen Bienen, die Harfe spielen? Oder von Social Media Kampagnen zur Vermarktung von stromlinienförmigen Flug-U-booten. Apropos Social Media? Da war doch was. Augen auf und arbeiten, Junge! Also Stift in die Hand, Papier auf den Tisch und los geht’s!

Guts


Sein erstes Album "Guts - Le Bienheureux" ist schon fünf Jahre alt. Hier heute jetzt im Winter macht es fröhlich. So fröhlich, wie wenn es schon nach Frühling röché - und die real existierenden Stare vor meinem Fenster zwitschern.
Das Debüt-Album des französischen Menschen „Le Bienheureux“ erschien im Sommer 2007 auf Wax On Records. Es ist weltmusisch, zimmer- und barsoundi, mit Elementen aus Jazz, Funk, Hiphop und dem ganzen Kram, der Spaß macht. Einige Songs sind eingängig aber hintergründig. Andere dagegen richtige Sehnsuchtslieder, die man eine Woche lang jeden Tag drölf mal hören muss. Endlich mal wieder Lieblingsmusik!
Irgendwann gründete Guts das Label pura vida, experimentierte viel und veröffentlichte im Jahr 2010 ein weiteres Album "freedom". Ganz eigen, voll von persönlichen Eindrücken, weltweit, melancholisch und nur teilweise lebenslustig.
Mittlerweile gibt es eine neue Single Laisser Lucie faire, die richtig gut ist, und das dritte Album "paradise for all".

Gegenwärtig 6

Mein aktueller Status: verlorener Sohn.
Mein neues Outfit: ein Weihnachstsgeschenk.
Letzte gegessene Pflanze: Kakaobohnenkuchen.
Motto: Lass mich!
Vergangenheit: ohne Fehler.
Neue Richtung: raus.
Zum Nachtisch: was Böses.
Zitat der Stunde: Frage nie nach etwas, was dir angeboten werden sollte. (Film)